„Die Bewohner*innen brauchen vom Personal in dieser Zeit viel mehr Aufmerksamkeit und Zuwendung, da die sich ‚eingesperrt und isoliert‘ von der Gesellschaft fühlen.“
Leitung des Sozialen Dienstes einer Einrichtung in Baden-Württemberg
Hier geht es zu weiteren Antworten aus dem Survey„Die Bewohner haben die Zeiten der kompletten Besuchsverbote längst nicht so belastend empfunden, wie in der Öffentlich immer vermutet wurde. Sie leben ja in einer großfamilienähnlichen Situation und fühlen sich in der vertrauten Umgebung nicht einsam. Wesentlich mehr gelitten haben müssten die alleinstehenden älteren Menschen, die in der Lock-down-Zeit weitestgehend auf soziale Kontakte verzichten mussten.“
Leitung einer Einrichtung in Schleswig-Holstein
In den letzten Monaten wurde in den Medien viel über Einsamkeit in Pflegeheimen berichtet. Obwohl mehrere Antwortende im Survey darauf hinwiesen, dass diese Berichte teilweise übertrieben oder gar kontraproduktiv waren, gehen sie ebenfalls auf Einsamkeitserfahrungen ein. Dabei wird berichtet, dass die Auswirkungen der COVID-19-Pandemie und die damit einhergehenden Schutzmaßnahmen depressive Zustände, Angst, Rastlosigkeit oder Aggression nach sich gezogen haben. Deshalb ist es wichtig, dass psychosoziale Pflege im Vordergrund pflegerischen Handelns verbleibt. Der erste Schritt hierfür ist eine genaue Analyse der Ursachen von Einsamkeit, sogenannter sozialer Deprivation. Die Auswirkungen von Einsamkeit auf ältere Menschen sind hinlänglich erforscht.
Dies soll nun nicht bedeuten, dass Besuchseinschränkungen notwendigerweise immer Einsamkeit hervorgebracht haben: In den meisten Fällen bestehen soziale Kontakte innerhalb der Einrichtung, diese fallen bei Besuchsverboten nicht automatisch auch weg. Außerdem muss bedacht werden, dass nicht nur Bewohnerinnen, sondern auch Mitarbeiterinnen und Angehörige mit Einsamkeit zu kämpfen hatten. Es kommt deshalb auch auf eine gute Zusammenarbeit mit Angehörigen an, um deren Sorgen im Auge zu behalten. Auch für die Reduktion sozialer Kontakte von Mitarbeiter*innen muss adäquate Unterstützung geschaffen werden.
Einige Gruppen von Bewohner*innen sind von Einsamkeit in besonderem Maße betroffen, z.B. Bewohner*innen mit Demenz oder Depressionen. Bei Menschen, die sich nicht verbal mitteilen können, sind Unruhe oder Teilnahmslosigkeit Anzeichen von Deprivationserfahrungen. Beispielsweise kann sich dies mit einem stärkeren Laufdrang ausdrücken, aber auch durch einen Rückzug oder Nahrungsverweigerung. Für Menschen mit Depression kann insbesondere das Wegfallen strukturgebender Instanzen – Besuchstermine, gemeinsame Mahlzeiten, terminierte Gruppenaktivitäten – eine große Herausforderung darstellen. Um die stabilisierende Wirkung gemeinsamer Aktivitäten zu ersetzen muss dies ggf. über 1:1-Betreuung ausgeglichen werden.
Die S1-Leitlinie empfiehlt, dass die Ausgestaltung und Dauer der Quarantäne auf der Basis einer individuellen Risikoeinschätzung vorgenommen werden solle. Die Leitlinie schlägt hierbei eine systematische Erfassung der Lebensqualität vor. Außerdem wird hervorgehoben, dass in die Entscheidung die Bewohner*innen und ihre Angehörigen mit einzubeziehen sind. Zentral ist hierbei immer der Vergleich zur Verfassung vorher: Die bloße Abwesenheit von Sozialkontakten oder das Auftreten auffälligen Verhaltens allein reichen also nicht aus, sie müssen im Verhältnis zu vorherigem Verhalten und zu vorherigen Kontakten betrachtet werden. So kann z.B. die Erfahrung sozialer Deprivation stärker sein, wenn vorher rege Besuche herrschten oder eine besonders intensiv erlebte Beziehung wegfällt.
Wichtige Orientierungsfragen für die Analyse von Deprivationsrisiken sind:
- Bestehen weitere Erkrankungen, z. B. Depression, Demenz oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen?
- Bestehen körperliche oder psychische Einschränkungen?
- Werden Hygienemaßnahmen verstanden und befolgt?
- Bestehen spezifische Ängste der Bewohner*innen und ihrer Angehörigen?
- Was sind biographische Vorlieben und Gewohnheiten?
- Wie sehr ist der/die Bewohner*in an sozialen Kontakten interessiert?
- Besteht Interesse an aktiven oder passiven sozialen Kontakten? Muss also selbst ‘mitgemischt’ werden oder reicht Zuschauen für die Person bereits aus?
- Wie viele Kontakte bestanden vor der Pandemie und wie intensiv waren diese?
- Welche Kontakte haben sich geändert?
- Bestehen Einschränkungen der Kommunikationsfähigkeit von Bewohner*innen?
Schlussendlich müssen entsprechend der individuellen Risikoeinschätzung Maßnahmen zur Abmilderung dieser Erfahrungen eingeleitet werden. Im Survey schrieb die Leitung einer Einrichtung in Rheinland-Pfalz, man habe sich ein Repertoire an “Isolationshemmern” zusammengestellt. In diesem Sinne wurde hier eine Liste mit Maßnahmen zusammengestellt und Ihnen Raum für Diskussionen über mögliche Formen des Umgangs mit Einsamkeit gegeben.
1 Erfahrung mit “Einsamkeit erkennen”