Ein Gastbeitrag von Dr. Beatrix Döttlinger
In Pflegeeinrichtung kommt es immer wieder vor, dass sich Bewohner*innen mehrere Tage in Einzelisolation befinden, dies schreiben die COVID-19 Hygienemaßnahmen unter bestimmten Bedingungen vor. In dieser Zeit haben die betroffenen Personen reduzierte Sinneseindrücke und somit weniger Erlebensmöglichkeiten. Das Pflegepersonal betreut die Personen dann in Schutzkleidung, körperliche Distanz zur Person wird, wenn möglich eingehalten.
Die Einrichtungsteams machen sich Gedanken darüber, welche Bedeutungen diese Veränderungen für ihre Bewohner*innen haben und wie sie sie darin unterstützen können, diese zu bewältigen. Jedes wohltuende Erleben über die Sinne kann helfen, diese Zeit besser zu überstehen. Pflegende versuchen in ihren Alltagshandlungen sinnliches Erleben für die Bewohner*innen einfließen zu lassen.
Angebote über den Geruchssinn können mit körperlichem Abstand gestaltet werden. Außerdem kann das Erkennen des Verlustes des Geruchssinns ein Frühwarnsystem der COVID-19-Erkrankung sein. Der Geruchssinn bringt uns die Welt näher, kann wohlige Erinnerungen wecken und Gefühle positiv beeinflussen. Das tägliche Angebot von Alltagsgerüchen ist nicht zu verwechseln mit der Aromatherapie , die spezifische Voraussetzungen erfordert und noch wissenschaftlich nicht ausreichend untersucht ist.
Hier einige Anregungen für die Praxis
Geruchsangebote sollten bewusst in die alltägliche pflegerische Begleitung einfließen. Beginnend bei der Körperpflege, kann den Bewohner*innen das Riechen an der eigenen Zahncreme, dem duftenden Duschgel, das eigene Parfüm oder Rasierwasser angeboten werden. Ein Riechangebot von wenigen Augenblicken reicht hier schon aus. Pflegende kennen ihre Bewohner*innen, sie wissen, woran die einzelne Person gerne riecht. Wurde der Geruchssinn länger vernachlässigt, braucht es oftmals einen Moment, bis sich die Pflegenden mit ihrem Angebot verständlich machen können und die Bewohner*innen merken, dass sie jetzt einfach nur Riechen dürfen.
Ein bewusstes Riechen am Lieblingsgetränk ist für viele Bewohner*innen ein wohltuender Genuss, der Lust auf das Getränk macht. Denn der Geruchssinn greift dem Geschmacksinn voraus. Ein angebotener duftender Kaffee, kann manche Bewohner*innen morgens aus dem Bett locken. Personen mit fortgeschrittener Demenz sind es oft nicht mehr gewohnt, am Getränk oder Essen riechen zu können, sie öffnen den Mund sobald ein Geruchsangebot zur Nase geführt wird. Auch hier dauert es oft einen Augenblick, bis sie dieses Angebot wahrnehmen und genießen können. Mit etwas Geduld erkennen die Pflegenden an den Reaktionen, ob es ein genussvolles Angebot ist oder etwas Anderes gewünscht wird.
Nicht nur in Einzelisolation sondern ganz generell profitieren Bewohner*innen sehr davon, wenn ihnen die Außenwelt durch ein Geruchserlebnis angeboten wird; z.B. mit verschiedenen Kräutern wie Minze, Liebstöckel, Zitronenmelisse, Rosmarin, Thymian oder mit Blumendüften wie Rosen usw. Mit den Sinnen die Welt erleben, die Kräuter ansehen, betasten und riechen können bietet eine wohltuende Erlebensmöglichkeit. Pflanzen wecken oft Erinnerungen, über die dann erzählt werden kann. Es sind Momente spürbarer Lebensqualität, die für Außenstehende manchmal bedeutungslos erscheinen, bis sie selbst so ein Duftangebot bekommen, das sie erfreut. Selbstverständlich sollte vor der Anwendung geklärt werden, ob allergische Reaktionen zu erwarten sind.
Ein sinnliches Angebot mit seinen positiven Reaktionen, ist etwas Besonderes für die Pflegeperson und die Person, der sie das Angebot macht. Es geht hier jeweils nur um Sekunden, die jedoch von Bedeutung für ihre Beziehung sind. Denn die Bewohner*innen spüren, dass es jemanden gibt, der es für wichtig empfindet, ihnen ein Sinnesangebot zu machen, dass sie als Person anspricht. Ein Geruchsangebot wird zum gemeinsamen beziehungsstiftenden Moment. Andreas Fröhlich beschreibt eine solche Beziehung wie folgt: „Es geht nicht um ein einfaches Vis-à-vis, es geht nicht um Konfrontation, es geht nicht um Oben und Unten, um führend und folgend, sondern es geht um gemeinsame Beziehung in Hinsicht auf eine Tätigkeit, in der sich beide finden“.
Dieser, meist sichtbare Moment erlebter Lebensqualität, stärkt nicht nur das Selbstwertgefühl der Bewohner*innen, sondern auch das der Pflegeperson, weil sie es für Wert empfunden hat, dieses Angebot zu machen.
Angebote in diesem Bereich schätze ich sehr. Sie sind mit einfachsten Mitteln einzusetzen – dran denken – ist das eigentliche Zauberwort. Wissen über die Wirkung von Geruch auf Emotionen werden im Verkauf gewinnbringend eingebracht. Uns bringt das Angebot keinen finanziellen Gewinn, aber auf ideller Ebene erhalten wir und unsere zu Betreuenden, unbezahlbares. Ein kleines Beispiele ist gerade im Herbst ein frisch gepflückter Apfel. Dieses Angebot kann auch an Angehörige erweitert werden indem sie bewußt einen frisch gepflückten Apfel mitbringen und Erinnerungen gemeinsam an die Herbst- und Apfelzeit austauschen. Somit ist ein Gesprächsstoff, weg von der weniger erfreulichen Situation möglich. Kindheitserinnerungen der Tochter/des Sohnes vermitteln zugleich Wertschätzung. Das damals Getane erhält nachträglich einen Sinn. Sinnhaftigkeit, über das gelebte Leben zu erfahren ist gerade am Lebensende ein nicht zu unterschätzendes Bedürfnis.